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16.09.2015

Gastbeitrag von Arndt Stroscher

Ist der Jugend-Thiller von heute bereits das Erwachsenenbuch von morgen?
 
Buchblogger Arndt Stroscher ist ein erfahrener Thriller-Leser und hat mit Ursula PoznanskisLayers“ überraschende Erfahrungen gemacht. Er freut sich auf einen Austausch dazu in den Kommentaren.



Es ist ein literarisches Phänomen, dem ich gerade auf der Spur bin. Es ist viel mehr als eine reine Zeiterscheinung oder eine zufällige und damit rein subjektive Einschätzung. Am Beispiel von Ursula Poznanskis aktuellem Jugend-Thriller „Layers“ möchte ich den Versuch einer Beschreibung meiner Beobachtungen wagen.

Da lese ich jahrein jahraus Krimis und Thriller, die in mein eigentliches Altersschema passen und mich dazu bringen, mit Gänsehaut und Rändern unter den Augen, nächtelang durch Blutlachen zu krabbeln, lebendig begrabene Menschen bei ihren Befreiungsversuchen zu erleben oder aus einem Mosaik von zerfetzten Körperteilen ein Opfer zu rekonstruieren. Ich bin Stammgast in rechtsmedizinischen Instituten, verdiene mir die goldene Ehrennadel der schwedischen Spurensicherung und habe mich insgeheim auf die Exhumierung längst Verstorbener spezialisiert.

Wenn ich dann über diese haarsträubenden Geschichten schreibe, die entsprechenden Bücher rezensiere, teilweise auch begründet vor ihnen warne, weil sie nichts für schwache Nerven sind, erhalte ich oft das Feedback „Nee ... da trau ich mich nicht ran. Ich möchte nachts ganz gerne schlafen können!“

Und dann lese ich zur Erweiterung meines „buchigen“ Horizonts und aufgrund vieler junger Menschen, die meinen Bloggerweg begleiten, immer wieder mal sogenannte Jugend-Thriller. Zuletzt floh ich mit Ursula Poznanski und ihrem Roman „Layers“ durch die Straßen einer Stadt – mit nichts als mit einer Datenbrille bewaffnet und in ständiger Angst schwebend, von meinen Gegnern entdeckt zu werden. Und doch so geschrieben, dass ich keine mit Blut bemalten Wände erklimmen musste oder meinen Protagonisten in der Pathologie eines Klinikums nur noch an seinen Turnschuhen erkennen konnte. Auch darüber schrieb ich ausführlich, rezensierte „Layers“, untermalte die Buchvorstellung mit Artikelbildern aus der U-Bahn und freute mich auf Feedback.



Und hier setzt das Phänomen ein, von dem ich eingangs schrieb. Es waren die Erwachsenen, die sich bei mir meldeten. Sie laufen an den eigentlich für sie geschriebenen Thrillern vorbei und retten sich in die Jugendbuchabteilung einer Buchhandlung, um dort nach spannendem Lesestoff für Krimifans zu suchen.

Es waren genau jene Leser, die hervorhoben, wie gut strukturiert Jugendbücher sind und in welcher Art und Weise das Auslassen von anschaulichem Gemetzel zur guten und spannungsgeladenen Unterhaltung beitragen kann. Ein Feedback, das ich immer wieder erhalte, wenn ich von Ursula Poznanski berichte. Ob „Erebos“, „Saeculum“ oder nun „Layers“ – diese Autorin vermag Leser jeden Alters mit ihren Thrillern zu überzeugen, die auch ohne literweise vergossenes Blut auskommen, bei denen man nicht leicht traumatisiert unter der Bettdecke verschwindet und schlaflos von Sektionen oder Mördergruben träumt.

Poznanski schreibt „straight“, womit ich meine, dass ihre Thriller gut durchdacht sind und aufgehen. Sie lässt ihre Leser nicht hängen und bedient sich nicht des (inzwischen sehr beliebten) Stilmittels des „unzuverlässigen Erzählers“, mit dem ein Autor seine Leser letztlich grenzenlos hinters Licht führen kann, und der sich bei der Auflösung eines Mordes einfach schüttelt und behauptet, zwei bis siebzehn Seelen in seiner Brust zu haben, die ein wenig durcheinandergeraten sind.



Da bleibt Ursula Poznanski fair. Sie holt nicht weit in die Vergangenheit eines ganzen Kontinents aus, nur um die Seiten von einem Mord zum nächsten zu füllen. Sie benötigt keine 28 Romanfiguren, die alle so schräg sind, als wären sie eben einem Kuriositätenkabinett entsprungen, und sie führt uns keine Ermittler vor Augen, die selbst psychisch „sowas von einen an der Klatsche haben“, dass sie im normalen Leben schon lange nicht mehr bei der Polizei wären.

Das scheint der Lesestoff zu sein, nach dem immer mehr erwachsene Leser suchen: „back to the roots“. Zurück zur in sich überzeugenden Handlung und hin zur nachvollziehbaren Story, der man sich bedenkenlos in die offenen Arme wirft. Und dabei beinhalten ihre Bücher tiefe Botschaften für junge und ältere Leser.

Sie stellt offene Fragen nach zu hohem Erwartungsdruck, spricht über Verantwortung gegenüber Jugendlichen und vermag in ihren Romanen moralische Gesichtspunkte an den Leser zu bringen, die sonst im Gewürge komplexer Thriller-Gemetzel nur als Brandbeschleuniger dienen.

Weder „Die Schatzinsel“ noch „Die drei Musketiere“ oder „Moby Dick“ waren als Jugendbücher angelegt. „Das Dschungelbuch“ sollte definitiv keine jugendlichen Leser fesseln. All diese Bücher waren komplexe Romane für erwachsene Leser, die im 20. Jahrhundert durch Kürzungen und Vereinfachung zu den legendären Jugendbüchern wurden, die wir kennen.



„Layers“ hingegen ist nicht für Erwachsene geschrieben. Man entdeckt dieses Buch in den Jugendbuchabteilungen, aber ich wage die Behauptung, dass es dort von ebenso vielen Erwachsenen wie Jugendlichen gefunden wird – und das nach gezielter Suche.

Die Resonanz auf meine Artikel belegt diese These und es scheint tatsächlich so zu sein, dass die ausufernden Plots der Erwachsenen-Thriller mit sich überschlagenden Gewaltorgien und psychologischen Zerrbildkabinetten immer mehr All-Age-Leser in die Jugendbuchabteilungen umleiten.

Ich gehöre dazu. Und ich liebe es, als etwas lebensälterer Blogger (hust) mit Alt und Jung über einfach spannende und funktionierende Geschichten zu reden. Nur ein Phänomen?
Lesen Sie gut!
 
Arndt Stroscher
astrolibrium.wordpress.com

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Kommentare 2

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18.09.2015, 16:42 Uhr

Hans

Kompliment für den gelungenen Gastbeitrag! Zuletzt erscheinen auch vermehrt härtere Stoffe als Jugendbücher; diese sind oft erfolgreich und bieten durch die drastischen Gewaltdarstellungen so gut wie immer einen Anlass für kontroverse Diskussion in der Presseberichterstattung. Nun zeigt sich aber am Beispiel von "Layers", dass nicht nur die -- vermeintlich -- vom Medienkonsum abgestumpften Jugendlichen wohl eigentlich nur Bücher suchen, deren Plot fesselt. Nein, auch Erwachsenen geht es primär um eine originelle Geschichte (*gasp*) und weniger um drastische Gewaltexzesse, die mittlerweile oft zum Selbstzweck verkommen. Dennoch wird über ein "gewalttätiges" Buch ungeachtet der sonstigen Qualität der Erzählung mehr gesprochen; der "Aufregungsfaktor" ist größer ("dies sollen unsere wohlbehüteten Jugendlichen lesen?!") Demnach ist auch die Chance größer, dass Jugendliche und Erwachsene auf ebendiese Bücher stoßen. Dabei machen sicher oft Bücher das Rennen, die mehr aufregen als überzeugen. Für mich persönlich darf Gewalt durchaus in der Lektüre vorkommen, nur sollte sie inhaltlich begründet sein, evtl. sogar die Charakterentwicklung beeinflussen, niemals jedoch sollte sie Selbstzweck sein...

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27.09.2015, 12:38 Uhr

Arndt Stroscher

Ich stimme durchaus zu, dass Gewalt in Romanen eine Rolle spielen darf, stelle aber zunehmend fest, dass die Auswüchse des Grauens nicht unbedingt im zusammenhang mit der Entwicklung einer Story oder ihrer Protagonisten steht. Es sieht oftmals aus wie ein Wettrennen um den schrecklichsten Tatort, der in seiner Dimension nur noch schocken soll. Jugendthriller überzeugen hier auf der Denkebene. Sie blenden aus, was einige Leser nicht gerne erlesen wollen. Sie konzentrieren sich auf den Content und suchen nicht verzweifelt nach pathologischen Bildern. Thrill auch für zarbesaitete Menschen...

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